Historie

 
 
 
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Wie Sie wissen, ist ein neuer Auslandseinsatz für Sie geplant.”
”Bitte? - Ich weiß von gar nichts.
— Telefonat zw. Vorgesetzten u. Lisa Reich. DDR, Spätsommer 1985.
 
 
 

Eine Chronologie von Ereignissen

 
 

AUFRUHR

Samora Machel war einer der führenden afrikanischen revolutionären Intellektuellen und wichtiger Bestandteil der FRELIMO-Bewegung. Von 1975 bis 1986 erster Präsident der Volksrepublik Mozambiques, gilt er bis heute als einer der Väter der Befreiung und populärster Führer des Landes.

Doch Mitte der 80iger Jahre herrschte in Mozambique Bürgerkrieg. Die RENAMO, damals para-militärische und anti-kommunistische Rebellengruppe, befand sich im kämpferischen Widerstand gegen die Frelimo-Regierung und ihre marxistische Ausrichtung, mit der sie die Gesellschaft Mozambiques seit der Unabhängigkeit neu gestalten wollte.

Die Sicherheitslage war äußerst kritisch und wurde zunehmend gefährlicher, sowohl für die Zivilbevölkerung, als auch für die zahlreichen Entwicklungshelfer (Kooperanten), die sich im Land aufhielten. Die damalige DDR hatte 1979 ein, bis dahin beispielloses, umfangreiches Freundschaftsabkommen zur Partnerschaft und Aufbauhilfe mit Mozambique ratifiziert.

Bildung, Infrastruktur und Wirtschaftsbeziehung sollten weitreichend entwickelt werden. Warenaustausch, Rohstoffbezug und ideologische Unterstützung beim Aufbau einer neuen befreiten mozambiquanischen Gesellschaft standen im Fokus.

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DIE UNANGO SITUATION

Im Dezember 1984 waren neun deutsche und zwei jugoslawische Aufbauhelfer zusammen mit einer bewaffneten mozambiquanischen Begleit-Kolonne auf dem Weg zur Unango-Großfarm, die im Zuge der Partnerschaft beider Länder entstanden war.

Kurz vor dem Ziel gerieten sie plötzlich in einen Hinterhalt und wurden mit schwerem Geschütz von Renamo Rebellen angegriffen. Zehn Aufbauhelfer und fünfzehn Mozambiquaner verloren ihr Leben beim sogenannten Unango-Anschlag. Ein Deutscher überlebte.

Daraufhin verließen viele Cooperantes und ihre mitgereisten Familien das Land. Eine Zäsur. Die bis dahin aufgebauten Strukturen drohten zum Erliegen zu kommen. Neue Leute mussten ins Land, um das Programm fortzusetzen.

 

DER ANRUF

Und so klingelte an einem Sommertag 1985, schrill das Telefon im Hause Reich.

“Hallo?” Dr. Lisa Reich, Expertin in der Rytmischen Sportgymnastik, nahm den Hörer ab.

“Wie sie wissen, ist ein neuer Auslandseinsatz für sie vorgesehen.” raunt eine männliche Stimme durch den Hörer. Schweigen.

“Bitte?- Ich weiß von gar nichts.”, entgegnet sie verwundert. “Warum?”

- “Sie kommen morgen früh ins Institut, da erfahren sie alles weitere. - Ahh, fast hätt ich´s vergessen, zum Sprachkurs haben wir sie schon angemeldet.”

“Jetzt entschuldigen Sie mal! Wo soll es denn bitte schön, so mir nichts, dir nichts, hingehen, und vor allem warum?”, schallt Frau Dr. Reich, nun schon deutlich gereizter, in bester Turnhallen Manier in den Apparat.

“Mozambique. In 3 Monaten. Sie lernen Portugiesisch. Wir können doch auf Sie zählen. So wie 78-80 in Algerien. Hab ich recht, Genossin?” Am anderen Ende wird aufgelegt. Stille.

“Aber ich werd doch eigentlich gleich schon Sechzig”, geht es ihr schlagartig mitsamt vieler anderer Gedanken durch den Kopf, während der Hörer langsam aus ihrer Hand, zurück in die Gabel gleitet.

Heinz! …”

 
 
 
 
 
 
 
 

MAPUTO

Im Februar 1986 landen Lisa und Heinz Reich mit der Interflug in Maputo. Sie treten die Nachfolge von Jürgen Renner am INEF an; heute die Faculdade de Educação Física e Desporto (FEFD). Aus zwei Jahren Aufbauhilfe werden Vier, und die deutsche Zeitenwende 1989, erleben sie im Exílio Cooperativo.

Angesichts der Aufgabe, Sportlehrer für Kinder auszubilden, realisieren sie, dass es das Beste ist, selbst eine Gruppe von Kindern zusammen zu stellen und in der Praxis auszuprobieren, was überhaupt möglich ist.

Über die vier Jahre hinweg, bauen sie mehrere Gruppen in verschiedenen Altersklassen auf. Bald sorgen sie erstmals für Furore, als sie den Zug der 1. Mai Parade 1986 in Maputo vor der Haupttribüne stoppen, um eine überraschende Darbietung mit ihren Schützlingen abzuliefern, die für Begeisterung sorgt. Danach werden sie zum festen Bestandteil der alljährlichen Demonstration am Festtag der Arbeiterklasse.

 
 

AUF DEM RADAR - ZWISCHEN POLITIK UND SPORT

Zahlreiche Einladungen zu Show-Events im Parlament, im Präsidentenpalast und zu weiteren Anlässen folgen. Jetzt waren sie mit ihrer Arbeit auf dem Radar.

Das prekären Klima der Unruhen im Land, fand ihren traurigen Höhepunkt, als Samora Machel 1986, Opfer eines koordinierten Flugzeugabsturz auf dem Rückweg von Verhandlungen mit Südafrika wurde. Die Vermutung der Sabotage durch südafrikanische Militärs im Verbund mit US-Initiative, bleibt bis heute unwiderlegt im Raum. Machels angewandter Marxismus hatte in den Augen seiner politischen Widersacher im Nachbarstaat und darüber hinaus, zuviel Popularität gewonnen.

 
 
 
 
 
 

FREUNDE MIT AGENDA

Für Reichs bedeutet dies eine weitere Zuspitzung ihrer Arbeits- und Lebensverhältnisse. Der eh schon streng kontrollierte Bewegungsradius wurde noch enger gezogen, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Das erste Jahr war das Schwierigste. Aus der Bekanntschaft mit dem Diplomatenpaar Roswitha und Gert Peuckert wurde die wichtigste soziale Verbindung in Maputo und eine Lebensfreundschaft. Roswitha war im Aussenhandel tätig und damit betraut, den Warenaustausch und Güterverkehr zwischen beiden Staaten zu koordinieren.

 

Gert Peuckert war, als 1. Sekretär im Botschaftdienst, der Koordinator der DDR-Regierungsberater, die in allen Ressorts der politischen Führungsebene tätig waren. Vielleicht ist als sein größter Verdienst zu nennen, was damals -streng geheim- unter Verschluß blieb: - Im Auftrag der DDR unterhielt Gert Peuckert geheime Verbindungen zu den Mitgliedern des ANC die, gejagt vom Apartheid-Regime Südafrikas, in Maputo im Untergrund lebten.

Die DDR unterstützte u. a. über ihre Botschaft die Freiheitsbewegung des ANC und koordinierte von Maputo aus die Kommunikation mit den untergetauchten Mitgliedern, um sie für den bewaffneten Freiheitskampf gegen das Apartheid-Regime in Südafrika heimlich auszufliegen und auf DDR Gebiet auszubilden.

 
 
 
 
 
 

MEHR KÜR ALS PFLICHTERFÜLLUNG

Derweil sicherten sich Lisa und Heinz durch ihre Fähigkeit, sich zu adaptieren und mit den Gegebenheiten konstruktiv umzugehen, ihrer Hingabe bei der Vermittlung von Werten und ihrer Mission, Perspektiven zu kreieren, bald einen festen Platz in den Herzen der Menschen im Land.

Ihre Gabe der Improvistation und der unermüdliche Einsatz auf allen erdenklichen Wegen Materialien, Kleidung, Geräte und auch - und vor allem - Mahlzeiten zu organsieren, - ihr Herz bei der Arbeit mit den zahlreichen Studenten und mit den bis zu sechzig Kindern - charakterisierte ihr Schaffen. Den Rahmen des Protokolls ihrer eigentlichen Aufgabe, hatten sie schnell freiwillig überwunden und dabei ein Stück ihres Herzens für immer in Mozambique gelassen.

 
 

Nach Beendigung ihrer Tätigkeit, dem Zusammenbruch der DDR, den sie nur aus der Ferne erlebten, und der damit notwendiger Weise einhergehenden Phase der Neuorientierung - haben Lisa und Heinz Reich nach 1990 eine private Solidarität- und Finanzhilfe zur Aufrechterhaltung der entwickelten Strukturen im Turn und Gymnastikbereich in Maputo geschaffen, die bis heute, 30 Jahre später, besteht.

 
 
 
 
 
 

Die Banhine Initiative

 
 
 
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DER KOFFER

Ende der Neunziger Jahre gerät der Bargeldspendentransfer mit Maputo plötzlich ins Stocken. Ihr mozambiquanischer Vertrauensmann ist verhindert, und kann nicht in sein Heimatland fliegen. Ersatz musste her, schnell. Es war ja alles war organisiert und das Geld musste zu seinen Empfängern. Doch wie?

Ein paar Tage später sitzt ein gewisser Samuel Simione Cossa bei Reichs in der Küche. Sein Vorgänger hatte sich inständig für ihn verbürgt. Mit ihm solle und würde der Bargeldtransfer gut über die Bühne gehen. Die direkte Übergabe von Spendengeldern von Vertrauensleuten an Vertrauensleute in Mozambique, war für Reichs immer von größter Priorität, um sicher zu stellen, dass das Geld auch da ankommt, wo es gedacht war. Ohne Reibungsverluste.

 
 
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Samuel Cossa gewinnt ihr Vertrauen und macht sich mit einem Koffer, beschlagen mit schwarzen Kunstleder, auf den Weg nach Maputo. Nach geglückter Einreise übergibt er diesen an die wartenden Mitstreiter und besteht mit schwitzigen Händen seine Feuertaufe.

Zurück in Berlin, sitzt Samuel Cossa wieder in in ihrer Küche und erzählt Reichs seine eigene Lebensgeschichte. Er war Ende der Achziger Jahre, als einer von zehntausenden Mozambiquanern in Zeiten der Brüderschaft beider Staaten in die DDR gekommen und hatte in Ludwigsfelde eine Ausbildung als Schweisser erhalten.

Seit 1990 ist er verheiratet, mit inzwischen drei Kindern, hat sich in Berlin ein neues Leben aufgebaut und tut was er kann, um seine Heimatgemeinde weiterhin zu unterstützen.

Seine täglichen 8km Märsche als Kind zur nächsten Wasserstelle in seinem Heimatort Banhine, blieb den beiden ehemaligen Kooperanten dabei am stärksten im Gedächtnis. Hier müssen wir was tun!, beschlossen sie, inzwischen weit über Siebzig.

 
 
 

NEUE PERSPEKTIVEN

 
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Reichs hatten gegen Ende der Neunziger Jahre wieder neue Perspektiven gewonnen und es fertig gebracht, beim Direktmarketingvertrieb Amway ein Geschäft und eine neue Community aufzubauen. Beides ermöglichte ihnen, ihrem Bestreben nachzukommen, weiterhin Solidarität zu betreiben. So paradox es auch klingen mag.

Viele ihrer Partner im umsatzorientierten Geschäftsmodell des ehemaligen Klassenfeindes, ließen sich von ihrer Dringlichkeit inspirieren und spendeten gern. So gelang es bald einen Brunnen im Dorf zu finanzieren. Dieser wurde 2003 fertiggestellt und von Lisa und Heinz Reich bei ihre letzten Reise nach Mozambique, zurück in die Vergangenheit sozusagen, feierlich eröffnet. Seitdem versorgt der Brunnen die Gemeinde mit Grundwasser bester Qualität aus 30 m Tiefe.

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2007 begannen die Plannungen für den Neubau eines weiteren Schulgebäudes im Ort, um die Möglichkeit des Unterrichts für ein vielfaches von Kindern wetterunabhängig zu ermöglichen.

In Kooperation mit der Dorfbevölkerung wurde der Neubau schließlich 2010 fertiggestellt. Wartungen am Brunnen und der Schule werden seither fortlaufend finanziert. Hinzu kommt die Fertigstellung neuer sanitären Anlagen auf dem Schulgelände Anfang 2020.

DIE FORTSETZUNG

In diese Fußstapfen möchten wir hineinwachsen, um die Achse nach Mozambique mit unserer jetzt wachsenden Spenden-Gemeinschaft und den Projekten der Gegenwart neu zu beleben und zu erweitern. Nachhaltig, interkulturell, im Dialog.